Emder Synode wirkt bis heute nach

 

„Emder Synode 1571 - Wesen und Wirkungen eines Grundtextes der Moderne“ so lautet der Titel des Buches von Matthias Freudenberg und Aleida Siller, das anlässlich des 450-jährigen Jubiläums der Emder Synode jetzt veröffentlicht wurde. Das Werk gibt einen gut lesbaren Einblick in die Geschichte und die Umstände der Synode. Es enthält die Dokumente der Synode in einer neuen deutschen Übersetzung und stellt zudem die wichtigsten Themen der Beschlüsse dar.

Einige Fragen rund um die Emder Synode hat Aleida Siller – Pastorin und Autorin des Buches – für reformiert.de in einem Kurzinterview beantwortet.

Was war der Anlass der Emder Synode?
Anlass war die Situation der reformatorisch gesinnten Gemeinden in den damaligen Niederlanden. Vor der Unterdrückung der spanischen Habsburger waren Tausende in nahegelegene sichere Gebiete geflüchtet, nach England, an den Niederrhein, in die Pfalz, nach Ostfriesland. Hier lebten sie als Flüchtlinge; entweder angeschlossen an die Ortsgemeinden oder in eigenen Gemeinden, wie etwa die französischsprachigen in Emden. Die in den Niederlanden geblieben waren, versuchten dort unter den schwierigen Bedingungen zu überleben.
Die Synode hatte zum Ziel, diese in sehr unterschiedlichen Situationen lebenden Gemeinden zusammenhalten und zu einen. In der Vereinzelung der Gemeinden sah man keine Zukunft, gestaltende Kraft nur im Zusammenwirken, in einer verlässlichen, geordneten Verbundenheit.
Das zu erreichen war keine leichte Aufgabe, denn die Gemeinden lagen nicht nur räumlich weit auseinander, sie hatten auch unterschiedliche Prägungen und vertraten in manchen Dingen unterschiedliche Positionen. Sich „in gegenseitigem Einvernehmen bemühen, einander zu unterstützen“, war dann auch einer der im Einladungsschreiben zur Synode formulierten Wünsche.


Wer nahm teil?
Unter dem Synodenprotokoll stehen die Namen von 29 Personen, 24 Pastoren und fünf Ältesten. Bei fast allen ist der Ort angegeben, wo sie ihr Amt ausübten: Heidelberg und Frankenthal, Aachen, Köln, Wesel und Emmerich, Emden. Auch Gemeinden in den Niederlanden waren vertreten: Antwerpen und Gent, Brielle, Hoorn, Schagen und Twisk. Bei zwei Pastoren ist Amsterdam angegeben, beide lebten allerdings 1571, dem Jahr der Synode, als Flüchtlinge in Emden.
Präses der Synode war der Pastor der niederländischen Gemeinde in Frankenthal Gaspar Heydanus, das Amt des Beisitzers hatte sein Kollege Taffinus aus Heidelberg. Das Protokoll schrieb Jean Polyander, Pastor der französischsprachigen Gemeinde in Emden. Aus den Flüchtlingsgemeinden in England, aus London oder Norwich etwa, nahm niemand teil. Sie erhielten wahrscheinlich keine Ausreiseerlaubnis.


Welche Beschlüsse gingen daraus hervor?
Die Synode hinterließ ein dreiteiliges Beschlussprotokoll. Es wurde in lateinischer Sprache verfasst. Leider ist das Original seit Mitte des 17. Jahrhunderts verschollen. Aber da schon auf der Synode selbst Abschriften angefertigt wurden und bald auch Übersetzungen entstanden, ist man sich des Wortlauts des Textes ziemlich sicher.
Der erste Teil enthält die grundlegenden Beschlüsse. Er beginnt mit dem programmatischen Satz: „Keine Gemeinde soll über andere Gemeinden, kein Pastor über andere Pastoren, kein Ältester über andere Älteste, kein Diakon über andere Diakone Vorrang haben oder Herrschaft beanspruchen. Sie sollen lieber dem geringsten Verdacht und jeder Gelegenheit dazu aus dem Weg gehen.“
Im zweiten Teil werden besondere Anliegen und Fragen beantwortet, die vorher von den Gemeinden eingereicht wurden.
Der dritte Teil kann als Synodalordnung bezeichnet werden; in ihm ist festgehalten, wie das Zusammenwirken der einzelnen Gemeinden auf regionaler Ebene, nämlich in den Classisversammlungen ablaufen, und wie die Synoden auf Provinzebene und als Generalsynode durchgeführt werden sollen.

Zum Jubiläumsjahr hat Matthias Freudenberg eine neue hochdeutsche Übersetzung des Beschlusstextes und auch des Einladungsschreibens angefertigt. Sie ist zusammen mit einer Einführung in die Vor- und Wirkungsgeschichte der Synode sowie der Vorstellung ihrer wichtigsten Themen kürzlich im Verlag Vandenhoeck&Ruprecht erschienen.


Welchen Bezug haben die Beschlüsse zur Gegenwart?
Wer die Beschlüsse liest, wird merken, dass einige der damaligen Themen auch heute beschäftigen, wenn auch unter anderen Bedingungen. Die Synode befasste sich beispielsweise damit, wie die Versorgung von Gemeinden, auch der ärmeren, mit Pastoren ermöglicht werden sollte – nämlich auf solidarische Weise, oder sie befasste sich mit den Herausforderungen, vor die manche Gemeinden durch den starken Zuzug von Geflüchteten gestellt waren und beschloss für alle Beteiligten transparente Regelungen. Auch die Aus- bzw. Weiterbildung von Pastoren und Ältesten war ein Thema.
Einen Bezug zur Gegenwart stellt auch die synodale Ordnung dar, die in Emden beschlossen wurde. In ihr kommt ein Prinzip zur Geltung, das auch in späteren Formen demokratischer Selbstbestimmung und Verantwortung zu finden ist. Dieses Subsidiaritätsprinzip, wie es seit dem 20. Jahrhundert genannt wird, bedeutet: Die jeweils kleinere Einheit erfüllt ihre Aufgaben so weit wie möglich selbst. Erst wenn sie ihre Aufgaben nicht regeln kann oder wenn etwas mehrere betrifft, wird die größere Einheit damit betraut. Die kleinere Einheit verliert also nicht dadurch an Bedeutung und Eigenverantwortung, weil es die größere Einheit gibt. Umgekehrt ist die kleinere Einheit nicht allein auf sich selbst gestellt, sondern ist eingebunden in einen größeren Zusammenhang.
Diese Ordnung fand bald Anwendung, etwa am Niederrhein und in einigen niederländischen Provinzen. Sie führten die von der Emder Synode beschlossenen regionalen, Classisversammlung genannten Zusammenkünfte ein. In unserer evangelisch-reformierten Kirche entsprechen ihnen ungefähr die Synoden der Synodalverbände.

Die Gestaltung eines förderlichen Verhältnisses von Vielfalt und Einheit ist auch heute ein Thema: in der Kirche, in unserer demokratischen Gesellschaft, in Europa.

Hier finden Sie die Publikation zur Emder Synode

 

27. Mai 2020
Mareike Nolting


Internet: https://www.emder-synode-1571.de

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